Interview mit Anja Hendel
„Innovation entsteht, wenn man unterschiedliche Sichtweisen zusammenbringt“
Um wirklich neu zu denken, braucht es Diversität und ein Zusammenspiel zwischen Tradition und Zukunft, sagt Anja Hendel, die Leiterin des Porsche Digital Lab. Am 21.11. ist sie auf der Work Awesome Bühne zu sehen. Wir haben sie vorab besucht in ihrem Berliner Büro mit herrlichem Blick auf die Spree.
624 Kilometer liegen zwischen dem Porsche Stammsitz und Berlin-Mitte: Warum sind Sie in die Hauptstadt gezogen?
In Berlin gibt es viel interessantes, globales Kow-How. Die Leute, die wir einstellen, können sich aussuchen, wo auf der Welt sie arbeiten; denn sie sind Experten in ihrem jeweiligen Technologiefeld. Es ist ein großes Glück für den Standort Deutschland, dass Berlin für Menschen, die in Tech-Start-ups arbeiten möchten, eine der begehrtesten Städte auf der Welt ist.
Was genau ist die Aufgabe des Porsche Digital Lab?
Wir beschäftigen uns mit Zukunftstechnologien, also mit Technologien, die noch einen starken Forschungsanteil haben. Ein Beispiel wäre: Künstliche Intelligenz. Wir wollen Porsche-Mitarbeiter inspirieren und ihnen zeigen, was mit neuen Technologien möglich ist. Viele Menschen haben ja gar keinen Bezug zu Künstlicher Intelligenz. Eine Studie hat vor kurzem herausgefunden, dass die meisten der befragten Menschen bei dem Thema immer noch an den Terminator oder R2D2 denken. Unsere zweite große Aufgabe ist, diese neuen Technologien dann auch in Produkte zu bringen.
Welche Anwendungen sind im Digital Lab schon entstanden?
Wir arbeiten gerade an einem Produkt für den Prüfstand der Automobilproduktion. Ein Seitenspiegel wird dort zum Beispiel ein paar tausend Mal auf- und zugeklappt. Dabei schaut man, ob Fehler – zum Beispiel komische Geräusche – auftreten. Ein Sound Engineer kann das nur acht bis zehn Stunden am Stück machen, dann ist sein Arbeitstag zu Ende. Manchmal treten solche Geräusche aber in einem Zeitfenster auf, in dem niemand da ist – und verschwinden wieder. Das war bislang ein blinder Fleck. Wir haben einen Algorithmus entwickelt, der Fehlgeräusche automatisch erkennt, aufnimmt und an den Sound Engineer schickt.
Warum braucht man dafür KI?
Künstliche Intelligenz ist vor allem dann leistungsstark, wenn es um eine Tätigkeit geht, die man einem Menschen schlecht erklären kann: Zum Beispiel ob ein Geräusch „richtig“ oder „falsch“ klingt. Wir füttern die KI mit sehr vielen „richtigen“ und „falschen“ Geräuschen, danach lernt sie automatisch dazu. Das ist natürlich ein total simples Beispiel, aber es erhöht die Qualität unserer Fahrzeuge und ermöglicht unseren Mitarbeitern ein neues Arbeiten. Die Porsche Experten müssen nicht mehr stundenlang am Prüfstand stehen, sondern können die großen Fragen angehen. Genau bei solchen scheinbar kleinen Problemen der Automobilindustrie haben wir unsere Nische gefunden – unseren „sweet spot“.
Wie arbeitet das Digital Lab mit dem Hauptkonzern zusammen?
Wir sind 25 Leute – im Vergleich zu 32.000 Porsche Mitarbeitern. Es ist deshalb wichtig, dass wir immer im Austausch bleiben. Wir sind alle regelmäßig in Zuffenhausen und stellen vor, woran wir gerade arbeiten. Und wenn jemand aus dem Haupthaus eine Idee hat, an der er gerne arbeiten will, kommt er für drei Monate nach Berlin und entwickelt sie mit uns. Das Team in Berlin weiß, es darf alles machen, aber es braucht jemanden von Porsche, der das auch gut findet – einen Kunden. Das hat Vorteile für alle: Wenn jemand 15 Jahre in einem Konzern gearbeitet hat, kennt er eine andere Welt als jemand, der seit fünf Jahren an Künstlicher Intelligenz arbeitet. Wirkliche Innovation entsteht, wenn man genau solche Sichtweisen und Kompetenzen zusammenbringt und dabei Dinge entstehen, die keiner alleine hätte schaffen können.
Was braucht ein Team, um wirklich innovativ zu denken?
Diversität ist uns sehr wichtig. Bei homogenen Teams stehen alle in einer Reihe und schauen in dieselbe Richtung. So hat man schnell eine Ebene, versteht sich, aber alle haben einen ähnlichen Blick auf die Welt. Bei einem diversen Team stehen alle Rücken an Rücken in einem Kreis. Mitarbeiter A und Mitarbeiter D schauen in diesem Set-up in entgegengesetzte Richtungen. Das ist auch herausfordernd, das nervt am Anfang immer. Aber dann merkt man bald, wie bereichernd das ist.
Worauf kommt es an, wenn man Leute für ein diverses Team sucht?
So ein Team aufzubauen bedeutet, beim Recruiting mehr zu riskieren und die Komfortzone zu verlassen. Nicht nur das „best match“ zu suchen, sondern auch mal zu sagen: „Das ist eine andere, total spannende Sicht auf die Dinge. Lass uns das einmal ausprobieren.“ Eine Probezeit sollte man auch einfach als solche nutzen. Das machen wir in Deutschland sowieso zu wenig: Ausprobieren. Das geht natürlich auch mal schief. Dann muss man ganz ehrlich sein und sagen: „War ein guter Versuch, aber für beide Seiten nicht das, was wir uns erhofft hatten.“
Und wie führt man ein diverses Team? Worauf kommt es da an?
Das Gute ist: Wenn diese Teams einmal laufen und funktionieren, sind sie ziemlich autonom. Dann hat man als Führungskraft ein schönes Leben und kann sich um andere Herausforderungen kümmern. Bei Konflikten geht es weniger Anweisungen, sondern um tatsächliches Führen: das Führen von Gesprächen. Ich versuche, zwischen den Sichtweisen zu vermitteln: „Schau mal, diese Person eröffnet dir Perspektiven, die du sonst nicht hättest.“ Dieses Vermitteln von den Vorteilen der Diversität ist eine große Aufgabe, weil es für uns alle bequemer ist, wenn alle so sind wie wir. Das Schönste nach einem holprigen Start ist für mich, wenn ich nach drei Monaten bei einem Pitch dabei bin und denke: „Wow, was haben die denn gemacht? Darauf wäre ich nie gekommen!“ Das ist das Tolle an moderner Führung: Dass Teams nicht mehr das machen, was du ihnen sagst, sondern Dinge, die dich überraschen und begeistern.
Anja Hendel wird am 21.11. auf der Work Awesome-Bühne mit uns und euch diskutieren. Tickets gibt es hier.